Alles anzeigen[MENTION=5264]Steff785[/MENTION]:
Grüß Dich, Kollege.
Erst einmal vielen Dank, daß Du Dir so viel Mühe gemacht hast, gezielt auf das Fachliche einzugehen. Es ist mit Sicherheit so, daß wir (Du und ich) bei vielen Dingen das Gleiche denken. Es ist keine schlechte Absicht von mir, daß ich im Folgenden hauptsächlich die Punkte anspreche, wo ich die größten Diskrepanzen sehe.
Ad "Technologischer Stillstand - ja/nein": Ich finde es geradezu kabarettreif, wenn behauptet wird, man könne bei den Rallyes keine gemischten Untergründe mehr fahren, und die maximale WP-Gesamtlänge dürfe 300 Kilometer nicht überschreiten, weil sonst der Einsatz von Low-Tech das Resultat wäre (was an sich schon reichlich weit hergeholt ist), und dann sind die R5-Wagen mit einem Allrad-System ausgerüstet, das primitiver ist als das von einem russischen Geländewagen der Ära Breschnew. Tut mir leid, aber da greife ich mir auf den Kopf.
Bei den WRC-Wagen bis 2016 war es genau das Gleiche. Jetzt haben die World Rally Cars wenigstens schon ein Mitteldifferential. Eine großartige Errungenschaft...
Man muß ja auch nicht gleich auf Elektro- oder Hybridantrieb setzen, um innovativ zu sein. Ich bin mir sicher: Es gibt noch genug Möglichkeiten, die Verbrennungs-Technik zu optimieren. Man muß die Ingenieure halt ein bißchen werken lassen. Das ist natürlich bei Rallyes etwas schwieriger als bei Rundstreckenrennen, weil die Autos ja eine Straßenzulassung haben müssen und man da nicht einfach drauflos ständig das Auto umbauen kann. Aber daß nur ein Konzept zugelassen ist (1600 Kubik plus Turbo, vier Zylinder in Reihe, und das vermutlich ausschließlich als Direkteinspritzer; wer sagt denn, daß es nichts Eleganteres gibt?), das ist schon eine extreme Beschneidung der konstruktiven Kunst.
Daran schließt sich direkt meine Kritik am Einheitsbrei an, den die FIA-Regeln aktuell im Rallyesport heranzüchten. Nenne mir eine derzeit gültige FIA-Rallyewagen-Kategorie, wo etwas Anderes als Kleinwagen zugelassen sind. Nämlich auch Sportcoupés, Sportwagen sowie Mittelklasse-Limousinen der mittleren oder sogar darüber hinausgehenden Preisklasse. Der Audi 200 Quattro hat immerhin mehrere WM-Podestplätze geschafft, der Mitsubishi Galant VR4 sogar mindestens zwei Gesamtsiege! Wo findest du heute so etwas?
Übrigens finde ich die Info interessant, daß es Länder gibt mit bis zu 35 R5-Fahrzeugen in der nationalen Meisterschaft. Und daß die Nachwuchsfahrer nach maximal zwei, drei Jahren von der 2WD- in die 4WD-Kategorie aufsteigen. Bei uns (Österreich) kann man die Nachwuchsfahrer, die ein R5-Auto einsetzen, auf einer halben Hand abzählen. Da sieht man wieder, was für haarsträubende Qualitätsunterschiede zwischen den Meisterschaften unterschiedlicher Länder liegen. Für mich ist es ausgesprochen schmerzhaft, mich Rallye-mäßig mit einem Low-End-Level zufriedengeben zu müssen. Vor Allem, weil es meiner Meinung und Erfahrung nach absolut unnötig ist. Auch unter den jetzigen FIA-Vorgaben.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Solange bei den aktuellen Rallyefahrzeugen allenthalben bei den grundlegenden Dingen ein striktes Schema 08/15 gilt, und solange auch bei den Strecken "Schema F" gilt (kein wechselnder Untergrund) und überdies laufend auf Verkürzung gesetzt wird, anstatt im Gegenteil Fahrer und Wagen auch auf ihre Allround-Tauglichkeit zu testen, solange kann ich niemals der Behauptung zustimmen, die FIA würde eine gute Marschrichtung vorgeben. Weil da fehlen bei aller Bewunderung für die Erfolge in der Rallye-Weltmeisterschaft für mich ein paar ganz wichtige grundsätzliche Dinge. Hätte sich der Rallyesport vor 35 Jahren schon so präsentiert wie heute, ich wäre wohl kaum zum Fan geworden.
Ich bin mir sicher: So geht's nicht nur mir. Und wenn man sich anschaut, welche Probleme so ein WINNING TEAM wie M-Sport hat (zwei Fahrer-, ein Markentitel in den eben erst zurückliegenden beiden Saisonen!), seine Position in der Weltmeisterschaft zu festigen, dann kann man sich ungefähr ausmalen, wie sehr das System des modernen Rallyesports à la Mahonen & Co in seinen Grundzügen krankt. Und das ist nur die Spitze des Eisberges...
Also ich find's ganz schön, dass du zuerst auf die Punkte eingehst, bei denen wir sogar wirklich übereinstimmen
Die Beschränkung der Gesamtkilometer halte ich ebenfalls für keine gute Idee. Allerdings sehe ich das eher so, dass man den Veranstaltern in diesem Punkt mehr Freiräume geben sollte. Wenn die Kilometer frei sind, können die Veranstalter selbst unterscheiden, in welche Richtung sie sich entwickeln.
Wenn beispielsweise eine 3-Städte-Rallye für die nächste Saison entscheiden würde, wir machen 6 Prüfungen à 5 Kilometer, müssen sie halt auch mit der Konsequenz leben, mit diesem Format nicht mehr lang DRM-Lauf zu sein.
So kann jeder Lauf im Prinzip individualisiert werden und seine eigenen Reize entwickeln.
Allerdings kann es dann halt auch passieren, dass z.B. der WRC-Promoter hingeht und gewisse Läufe streicht, weil sie sich aufgrund ihrer Länge nicht vermarkten lassen. Dies ist für mich aber ein Kompromiss, den jeder Veranstalter in einem solchen Fall eingehen muss.
Bei den gemischten Untergründen gebe ich dir absolut Recht!!! Eben das macht für mich die Rallye aus. Es MUSS keine Untergrundveränderung geben, aber auch hier sind wir wieder bei der Individualisierung und dem Reiz einer bestimmten Rallye.
Mit der Marschrichtung meinte ich die Kategorisierung der R-Klassen der FIA an sich. Für mich (als Fan) ist das deutlich übersichtlicher als in der Vergangenheit.
Das System hat weiterhin seine Schwächen, bspw. dass man mit einem R2-Fahrzeug praktisch machen kann was man will, und in der R3-Kategorie stark beschnitten wird.
Das ist übrigens auch der Grund, warum die GT86-Entwicklung in der R3-Kategorie nicht wirklich voranschreitet. Ich hatte mal ein Gespräch mit dem Leiter des Projekts. Er sagte, hier werden einem bei der Entwicklung einfach unglaublich viele Steine in den Weg gelegt.
Und das ist auch ein Punkt, bei dem ich dir zustimme. Ich wäre auch wieder für mehr Vielfalt der unterschiedlichen Konstruktionen. Und wenn es nur in der R4-Kategorie ist. Dann muss hier ein Weg geschaffen werden, dieses Feld für die Hersteller wieder attraktiver zu machen.
Leider ist es wirklich so, dass in Deutschland und Österreich die Förderung speziell durch private Investoren dem Beispiel anderer Länder meilenweit hinterher hinkt.
Bei den 35 R5-Fahrzeugen muss ich mich leider korrigieren. Es waren 24 R5, dann aber noch 4 S2000 und 5x GT3. Wahrscheinlich war das bei mir im Hinterkopf noch als "35 Autos der Top-Kategorie" gespeichert
Aber dennoch eine für mich respektable Zahl!